Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
4,0
stark
Der wilde Roboter
Der wohl schönste Sci-Fi-Film des Jahres!
Von Stefan Geisler
Leinwand-Abenteuer mit ökologischer Botschaft können nicht nur wichtig sein, um ein Verständnis für den Erhalt der Natur und deren Bewohner*innen zu schaffen, sondern zeigen auch Möglichkeiten auf, wie es sich im Einklang mit Flora und Fauna leben lässt, wenn nur ein rücksichtsvolles Miteinander gepflegt wird. Noch viel mehr als in den Mega-Blockbustern der „Avatar“-Reihe wird diese Idee nun im Animations-Abenteuer „Der wilde Roboter“ von „Drachenzähmen leicht gemacht“-Mastermind Chris Sanders, das auf dem gleichnamigen Roman von Peter Brown aus dem Jahr 2016 basiert, auf die Spitze getrieben:
Statt eines Menschen, der sich zwischen ökologischer Rückbesinnung und technologischem Entwicklungs-Fanatismus entscheiden muss, landet hier ein Roboter in einem naturbelassenen und menschenleeren Fleckchen Erde. Die Ausgeburt des technischen Fortschrittsgedankens schlechthin muss sich fernab der Zivilisation eine neue Bestimmung suchen. Das Ergebnis ist ein äußerst liebenswerter und wunderschön anzuschauender Animationsfilm, der über jede Menge Witz und Herz verfügt. Zwar kommt erzählerisch mitunter etwas Sand ins Robo-Getriebe, die kleinen Stotterer verzeiht man dem charmanten Spaß für die ganze Familie wegen seiner zahllosen so cleveren wie süßen kleinen Ideen aber gern.
Als die ROZZUM-Einheit 7134, kurz „Roz“ (Stimme im Original: Lupita Nyong'o / in der deutschen Synchro: Judith Rakers) auf einer einsamen Insel in Betrieb geht, ist die Sache für den Roboter klar: Irgendjemand muss ihn aktiviert haben. Doch die tierischen Bewohner*innen, denen Roz seine Hilfe anbietet, wollen mit der Blechbüchse nichts zu tun haben. Doch ein Roboter braucht eine Aufgabe – und die findet Roz, als er ein kleines Gänseküken adoptiert. Fortan kümmert sich der Metall-Helfer aufopferungsvoll um das winzige Geschöpf, das auf den Namen Brightbill getauft wird – und das ist auch nötig, denn so ziemlich jeder und alles möchte das Federknäuel verspeisen.
Nach einigen Monaten ist aus Brightbill ist ein junger Gänserich geworden. Doch eine Sache muss er unbedingt noch lernen: das Fliegen! Im Winter geht es für die Zugvögel schließlich in den Süden. Wer auf der Insel zurückbleibt, den erwartet der Kältetod. Aber die Zeit drängt und viele der anderen Gänse sind dem Außenseiter feindlich gesonnen. Fast zeitgleich bekommen der Tech-Konzern ROZZUM Wind davon, dass sich einer ihrer Roboter selbstständig gemacht hat. Es werden direkt die ersten Einsatzkräfte entsandt, um den Freigeist wieder einzufangen…
Die ersten 30 Minuten sind absolut brillant
Die erste halbe Stunde von „Der wilde Roboter“ gehört zu den kurzweiligsten und cleversten Eröffnungen, die es dieses Jahr im Kino zu sehen gab. Gerade die verzweifelte Suche von Roz nach einem neuen Klienten oder einer interessierten Auftraggeberin ist ein wahnsinnig witziger und reichlich actiongeladener Streifzug durch die nordamerikanische Tierlandschaft. Vögel, Schildkröten, Krabben, Opossums, Bären und Hirsche – wer sich nicht rechtzeitig in Sicherheit gebracht hat, bekommt trotz unüberwindlicher Sprachbarriere ungewollte Hilfe von dem übereifrigen Blech-Helferlein aufgedrängt.
Wer nach den ersten Trailern noch gedacht hat, dass dies ein ruhiger Film der Marke „Prädikat besonders wertvoll“ wird, bei dem insbesondere Kinder von Holzspielzeug-Eltern auf ihre Kosten kommen werden, der hat sich getäuscht. „Der wilde Roboter“ ist voll von charmanten visuellen Gags sowie rasanten, erstaunlich trockenhumorigen, manchmal sogar regelrecht makabren Comedy-Einlagen im besten Looney-Tunes-Stil – etwa wenn ein Rudel Waschbären mit einem Baumkatapult in den Nachthimmel geschleudert wird.
Nicht weniger heftig geht es zu, wenn Roz die Sprache der Tiere studiert hat und die pelzigen und gefiederten Wald- und Wiesenbewohner*innen plötzlich zu plappern anfangen. Speziell der verschlagene Fuchs Fink oder die mit (zu) reichlichem Nachwuchs gesegnete Opossum-Mutter Pinktail, die fast ein wenig resigniert reagiert, als eines ihrer todesfaszinierten Kinder nach einem Unfall doch noch lebt, liefern einige ziemlich zynische Gags. Solche Momente werden (wahrscheinlich) über die Köpfe des jüngeren Kinopublikums hinweggehen, aber bei den mitgebrachten Eltern dürften diese für eine ganze Menge Lacher sorgen.
Dabei wird auch das Prinzip des Naturkreislaufs leicht verständlich und mit dem nötigen Ernst vermittelt. Das Leben in der Wildnis ist kein Zuckerschlecken. Einmal nicht aufgepasst und ein Beutegreifer macht dich einen Kopf kürzer. Und so ist es kein Wunder, dass die Tiere in dem eigenwilligen Metall-Fremdling eine Bedrohung sehen und sich dieser seinen Platz inmitten der Wald- und Wiesenbewohner*innen erst erarbeiten muss. Diese Lehren werden mit zunehmender Spieldauer jedoch leider durch die zunehmende Vermenschlichung der tierischen Protagonisten zugunsten moralischer Lehren gebrochen.
Mit der Sprache kommt auch die Moral
Die Idee, dass wir unsere Verhaltensmuster aufbrechen und Feindschaften überwinden können, um stattdessen als Gemeinschaft große Herausforderungen zu stemmen, ist prinzipiell schön und richtig. Dennoch ist es etwas fragwürdig, wenn der Fleischkonsum der Karnivoren plötzlich als freie Entscheidung hingestellt wird – und sich Fuchs und Hase fortan vergnüglich im Arm liegen, um gemeinsam gegen einen größeren Feind kämpfen. Und das, nachdem zuvor das Prinzip von Fressen und Gefressenwerden doch bereits kindgerecht (und saumäßig lustig) etabliert wurde.
Zudem fühlt sich die in Episoden geteilte Erzählung von „Der wilde Roboter“ etwas holprig an. Nicht, weil ein Abschnitt wirklich schlecht wäre, aber gerade die Eröffnung ist dermaßen rund und leichtherzig erzählt, dass man deren Ende mit Bedauern zur Kenntnis nimmt. Die erste halbe Stunde allein ist eben ein absolutes Animations-Meisterwerk, genau wie damals die eröffnenden Rückblick-Minuten in Pixars „Oben“. Man braucht danach ein wenig, um in die neue Erzählung um den jugendlichen Gänserich Brightbill und dessen Kampf um Anerkennung und die Suche nach seinem Platz in der Natur ähnlich tief einzutauchen.
Trotzdem gibt es auch während der zweiten Episode und erst recht im actiongeladenen Finale immer wieder herrlich komische und zutiefst emotionale Momente, die für die etwas holprigen Übergänge entschädigen. Gerade die Auflösung des finalen Konflikts geht wirklich kräftig zu Herzen, ohne dabei ins Kitschige zu verfallen. Also definitiv die Taschentücher bereithalten!
Fazit: „Der wilde Roboter“ ist ein wirklich wunderschöner Animationsfilm, der sowohl kinderfreundliche Unterhaltung als auch erwachsenen Humor liefert. Zwar lassen Geschwindigkeit und Witz nach der ersten halben Stunde etwas nach, dennoch vermag das temporeiche, clevere Abenteuer von Robter Roz und Gänserich Brightbill bis zum furiosen Finale nicht nur zu fesseln, sondern zugleich auch zu Tränen zu rühren.
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