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Von: Marcus Giebel
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In russischen Supermärkten finden sich trotz Sanktionen der USA und der EU noch immer viele westliche Produkte. Einigen wurde ein neuer Name verpasst.
Moskau – Die ersten Sanktionen gegen Russland ließen nach Beginn der Invasion nicht lange auf sich warten. Seither legten die USA und die EU im Zuge des Ukraine-Kriegs immer wieder nach. Inwiefern diese Strafen das Land wirklich treffen, ist umstritten. Auffällig ist jedenfalls: Auch wenn Fotos von leergefegten Supermarkt-Regalen kursieren, werden noch immer viele westliche Produkte vor Ort angeboten. Teilweise nun aber unter anderem Namen – und auch nicht immer vom bekannten Hersteller selbst vertrieben.
Das Handelsblatt (Artikel hinter einer Bezahlschranke) nennt einige Beispiele und betont, dass Lebensmittel – abgesehen von Luxusgütern wie Kaviar, Trüffel, hochpreisige Weine und Spirituosen – nicht unter die Sanktionsregelungen fallen. Folglich dürfen sie weiterhin offiziell in Russland verkauft werden.
Westliche Marken in Russland: Neue Namen für „McDonald‘s“ und „Starbucks“
Warum beispielsweise „McDonald’s“ im Reich von Kreml-Chef Wladimir Putin nun „Wkusno i totschka“ heißt, erklärt die Rechtsanwältin Tanja Galander von der Wirtschaftskanzlei Graf von Westfalen so: „Wenn sich Unternehmen aus Russland zurückziehen und ihr Geschäft samt Produktionsstätten verkaufen, erlegen sie dem Käufer oft auf, dass sich die neue Marke abgrenzen muss.“ Schließlich soll demonstriert werden, dass das Unternehmen den russischen Markt nicht mehr bedient.
Im Falle von „Dr. Oetker“ tragen die Nachfolge-Produkte aus russischem Hause ein zum Verwechseln ähnliches Logo, auf dem „Dr. Bakers“ zu lesen ist. Auch „Stars Coffee“ scheint nicht wirklich verhehlen zu wollen, dass es aus „Starbucks“ hervorgegangen ist.
Sanktionen gegen Russland: Mutterkonzern von „Jacobs“-Kaffee weiter im Land tätig
Die in Deutschland bekannte Kaffeemarke „Jacobs“ findet sich in den russischen Supermarkt-Regalen jetzt unter dem Namen „Monarch“. Auch hier ist das Logo kaum verändert worden. Der niederländische Mutterkonzern „JDE Peet’s“ hat sich jedoch gar nicht aus dem Land zurückgezogen.
Denn er wollte nicht riskieren, „dass unsere Vermögenswerte und unser geistiges Eigentum vom russischen Staat verstaatlicht oder an Dritte in Russland weitergegeben“ werden, wie der damalige Vorstandschef Fabien Simon im August 2023 laut der Nachrichtenagentur Reuters erklärte. Dem Handelsblatt bestätigte ein Konzern-Sprecher, „JDE Peet’s“ setze in Russland „auf ein Portfolio lokaler Marken“.
„Coca-Cola“ gibt es noch immer, daneben aber dem Bericht zufolge auch die günstigere Variante „Dobry Cola“ von „Multon Partners“, das über „Coca-Cola HBC“ zum Portfolio des US-Mutterunternehmens zählt. Die Pflanzenmilch von „Alpro“ aus dem Hause „Danone“ wird unter dem Namen „Planto“ verkauft. Unklar ist dem Bericht zufolge, ob der in Frankreich beheimatete Lebensmittelkonzern sein Russland-Geschäft selbst mittlerweile abgewickelt hat. Der Vertrieb liegt jedenfalls in den Händen von „H&N“, der Russland-Tochter von „Danone“, dessen Generaldirektor ein Neffe des tschetschenischen Machthabers Ramsan Kadyrow ist.
Westliche Produkte in Russland: „Mondelez“-Produkt „Oreo“ findet russischen Nachahmer
Erwähnt wird zudem, dass der russische Markt neben den bekannten „Oreo“-Keksen auch diesen offensichtlich nachgeahmte „Trio“-Kekse anbietet. Und das, obwohl das US-Unternehmen „Mondelez“ weiterhin im Land aktiv ist. Ein durchaus kurioser Fall, der womöglich vor Gericht landen könnte – denn es könnte sich um einen Verstoß gegen Markenrechte handeln.
Es gibt also diverse Wege zu neuen Namen westlicher Produkte für den russischen Markt. Ungewöhnlich ist es jedenfalls nicht, dass die Konzerne aus den USA oder aus Europa weiter Geschäfte im Land machen, das den größten Krieg auf dem Kontinent seit 80 Jahren vom Zaun brach.
Westliche Unternehmen in Russland: Nur gut jeder zehnte Konzern zieht sich komplett aus Land zurück
Die Kyiv School of Economics verfolgt gemeinsam mit dem Projekt „Leave Russia“ das Verhalten internationaler Unternehmen in Russland. Demnach haben von 3981 Konzernen bis zum 4. Oktober 2024 lediglich 427 ihr Geschäft vor Ort komplett abgewickelt – aufgeführt wird hier auch das schon erwähnte „Danone“. 1350 weitere stellen ihr Engagement ein und ziehen sich zurück oder schränken die Tätigkeit zumindest vorübergehend ein, halten sich aber eine Rückkehr offen.
In der Welt erklärte Vasily Astrov, Ökonom am Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW) ebenfalls, dass gerade mal zehn Prozent westlicher Unternehmen Russland den Rücken gekehrt haben. „Schließlich lässt sich dort noch gutes Geld verdienen, und die Behörden erschweren den Rückzug“, erklärt der Experte.
Anders sehe es bei langlebigen Konsumgütern und Autos aus. Spürbar seien die Sanktionen somit „für die relativ schmale Mittelklasse“, während sich die ärmeren Bürger diese Produkte ohnehin nicht leisten könnten. „McDonald’s hat sich beispielsweise zurückgezogen, aber ein russisches Unternehmen hat die Filialen übernommen und betreibt sie weiter, ohne dass die Burger viel anders schmecken“, verdeutlicht er.
Russland als lohnender Markt für westliche Konzerne: „Sehr resilient gegenüber Sanktionen“
Gründe, warum der russische Markt weiter lukrativ ist, nennen auch Johannes Leitner, wissenschaftlicher Leiter des EMBA International Management an der Fachhochschule für Wirtschaft, Management und Finance des BFI Wien, und der Politikwissenschaftler Hannes Meissner im österreichischen Standard. So habe sich Russland „sehr resilient gegenüber den Sanktionierungsmaßnahmen gezeigt“, das Wirtschaftswachstum könne aufgrund der stark hochgefahrenen Rüstungsindustrie hochgehalten werden.
Zudem habe sich die Konkurrenzsituation durch die Abwanderung vieler Unternehmen gebessert. Da nicht alle Dienstleistungen und Produkte von Sanktionen erfasst werden, können Unternehmen die Regelungen der USA und der EU einhalten und zugleich in bestimmten Sektoren mit bestimmten Partnern Geschäfte machen.
Zu bedenken sind auch die administrativen und bürokratischen Hürden für einen Rückzug. So sei es kaum möglich, bei einem Verkauf an eine russische Tochtergesellschaft einen angemessenen Erlös zu erzielen und nicht jedes Unternehmen könne sich die daraus resultierende vollständige Abschreibung der oftmals beträchtlichen russischen Investitionen leisten. (mg)